Indigene Futurism: Wie Science Fiction hilft, trauma zu überwinden und Zukunft zu visionieren


Indigener Futurismus: Wie Science Fiction hilft, Trauma zu überwinden und Zukunft zu visionieren

Was passiert, wenn indigene Geschichtenerzähler ihre eigene Zukunft entwerfen? Wenn sie nicht länger als Figuren einer vergangenen, romantisierten Welt dargestellt werden, sondern als Architekten kommender Jahrhunderte? Indigener Futurismus ist eine revolutionäre künstlerische und literarische Bewegung, die genau das tut. Sie nutzt die Werkzeuge von Science Fiction, Fantasy, Spekulation und Horror, um koloniale Traumata zu verarbeiten, widerständige Zukunftsbilder zu entwerfen und indigene Existenz in alle Zeitlichkeiten zu projizieren – auch in die, die noch kommen wird.

Was ist Indigener Futurismus? Eine Definition jenseits von Star Trek

Geprägt von der Autorin Dr. Grace Dillon (Anishinaabe), bezeichnet der Begriff Werke, in denen indigene Künstler*innen „Indigenität in die Zukunft verlängern“. Es geht nicht um Assimilation in eine westlich-geprägte High-Tech-Utopie, sondern um Zukunftsvisionen, die auf indigenem Wissen, Kosmologie, Widerstand und Wiederbelebung basieren. Dabei werden Genres neu besetzt: Raumschiffe können wie Kanus aussehen, KI kann von Ahnen-Geistern bewohnt sein, und Cyborgs können traditionelle Tattoos als Schaltkreise tragen. Dieser Futurismus ist dekolonial, hoffnungsvoll und radikal einladend.

Vergangenheits-Traumata vs. Zukunfts-Imagination: Die heilende Kraft des „Was-wäre-wenn“

Die vorherrschenden Narrative über indigene Völker sind oft von Verlust, Trauma und kulturellem Erlöschen geprägt. Indigener Futurismus bricht diesen Bann der Tragödie. Indem er Geschichten setzt, in denen indigene Charaktere, Sprachen und Weltsichten in fernen Galaxien, postapokalyptischen Landschaften oder alternativen Realitäten gedeihen, tut er drei heilsame Dinge:

  • Entkolonisiert die Vorstellungskraft: Er befreit die Zukunft von der Annahme, dass Fortschritt zwangsläufig westlich sein muss.
  • Normalisiert indigene Existenz: Indigene zu sehen, die Raumstationen bauen oder mit nicht-menschlichen Spezies verhandeln, macht ihre bloße Anwesenheit in der Zukunft selbstverständlich.
  • Verwandelt Trauma in Agency: Das Erzählen einer eigenen, spekulativen Zukunft ist ein Akt der Souveränität. Es antwortet auf den kolonialen Versuch, eine Zukunft für indigene Völker zu verweigern, mit einer eigenen, vielfältigen Vision.

Schlüsselwerke und Wegbereiter*innen des Indigenen Futurismus

Die Bewegung ist vielfältig und global. Hier sind einige zentrale Stimmen:

Rebecca Roanhorse (Ohkay Owingeh) – Postapokalypse und indigene Magie

Ihr Bestseller „Trail of Lightning“ spielt in einer von einer Umweltkatastrophe verwüsteten Navajo Nation (Dinétah). Die Heldin, Maggie Hoskie, ist ein Monsterjägerin, deren Kräfte auf traditionellem Wissen basieren. Roanhorse erschafft eine Welt, in der indigene Mythologie die neue Realität formt und die Überlebenden der Apokalypse nicht Weiße, sondern Diné sind.

Cherie Dimaline (Métis) – Die Zukunft der Gemeinschaft

In „The Marrow Thieves“ hat die Menschheit die Fähigkeit zu träumen verloren – nur indigene Völker in Nordamerika können es noch. Sie werden dafür gejagt. Der Roman ist eine Allegorie auf Kolonialismus und Genozid, aber auch eine kraftvolle Feier der Widerstandskraft, der Verbindung zur Erde und der heilenden Kraft von Gemeinschaft und Geschichten.

Stephen Graham Jones (Blackfeet) – Indigener Horror

Sein Werk, wie „The Only Good Indians“, verschmilzt sozialen Horror mit übernatürlichen Elementen. Er untersucht, wie die Geister der Vergangenheit – persönliche und historische – in die Gegenwart zurückkehren. Dies ist Futurismus, der sich mit den unerledigten Geistern der Geschichte auseinandersetzt, um eine Zukunft überhaupt erst möglich zu machen.

Wakanda und „Reservation Dogs“ – Mainstream-Einflüsse

Marvels „Black Panther“ (inspiriert von verschiedenen afrikanischen Kulturen) zeigte die Macht afrofuturistischer Ästhetik. Die Serie „Reservation Dogs“ (von indigenen Machern) integriert magischen Realismus und popkulturelle Referenzen in den heutigen Alltag auf dem Land. Beide beweisen, dass indigene und dekoloniale Futurismen ein Massenpublikum begeistern können.

Indigener Futurismus in Film, Kunst und Gaming

  • Film/VR: Künstler wie Skawennati (Mohawk) erschaffen in „Time Traveller™“ virtuelle Welten, in denen indigene Figuren durch die Zeit reisen und historische Traumata neu verhandeln.
  • Bildende Kunst: Künstler wie Nadia Myre (Anishinaabe) oder Kent Monkman (Cree) stellen indigene Körper und Symbole in futuristische oder spekulative Kontexte, um Machtverhältnisse zu hinterfragen.
  • Gaming: Spiele wie „Never Alone“ (Kisima Ingitchuna), entwickelt mit Iñupiat-Ältesten, oder „Thunderbird Strike“ von Elizabeth LaPensée (Anishinaabe/Métis) verwandeln indigene Mythen in interaktive Erlebnisse und machen Spieler zu Hütern von Land und Kultur.

Warum diese Bewegung für jeden wichtig ist – auch für Nicht-Indigene

Indigener Futurismus bietet mehr als Nischenunterhaltung. Er ist ein essentielles Korrektiv für unsere kollektive Vorstellungskraft.

  1. Er bietet Lösungsmodelle: Indigene Weltsichten, die auf Reziprozität, Nachhaltigkeit und Gemeinschaft basieren, bieten radikale Alternativen zu ausbeuterischen Zukunftsmodellen.
  2. Er lehrt komplexes Geschichtsverständnis: Er zeigt, dass die Vergangenheit nicht tot ist, sondern aktiv die Zukunft beeinflusst – und dass wir diese Beziehung gestalten können.
  3. Er erweitert unser Empathie-Vermögen: Er lädt ein, die Welt durch eine dekoloniale Linse zu sehen und die Vielstimmigkeit der Menschheit in der Zukunft zu feiern.

Wie du dich mit Indigenem Futurismus beschäftigen kannst

Die Reise beginnt mit Neugier und respektvollem Konsum:

  • Lesen: Beginne mit Anthologien wie „Walking the Clouds“ (Grace Dillon) oder „Love After the End“ (Joshua Whitehead).
  • Hören: Suche nach Podcasts und TED-Talks von indigenen Futurist*innen.
  • Unterstützen: Kaufe Bücher direkt von indigenen Verlagen oder Buchhandlungen. Besuche Ausstellungen indigener Medienkunst.
  • Reflektieren: Frage dich: Welche Zukunftsbilder habe ich internalisiert? Wo fehlen indigene Perspektiven in meiner Science-Fiction-Welt?

Indigener Futurismus ist keine Flucht aus der Realität. Er ist eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit ihr, ausgerichtet auf die Möglichkeit der Heilung und des Neuanfangs. Er nimmt die Werkzeuge, mit denen indigene Völker oft aus der Zukunft geschrieben wurden (Technologie, Fortschrittsnarrative), und schreibt sie sich damit wieder ein. In einer Zeit der Klimakrise und des globalen Umbruchs sind diese Visionen von Zukunft, die auf Verbundenheit, Widerstandsfähigkeit und altem-neuem Wissen basieren, vielleicht die wichtigsten Science-Fiction-Geschichten, die wir alle hören müssen.

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